So absurd spaßig und ideenreich ist das MiR Gelsenkirchen
Das Musiktheater im Revier öffnet alle Türen und Bühnen beim bunten Sommerfest. Manche Teilnehmer bekommen direkt Verträge angeboten.
Finnischer Hirtenruf oder die Anleitung für eine Nasendusche „auf Schubert“, Bollywood zum Mitmachen und die fleischfressende Pflanze aus dem „Kleinen Horrorladen“ als Miniatur aus Pfeifenreinigern? Alles geht beim MiR-Theaterfest, augenzwinkernd, witzig, bunt und hemdsärmelig und vor allem in einem geradezu unglaublichen Sprachenmix.
Der präsentierte Hirtenruf war ein Beispiel der Sängerin Erika Hammarberg, die im Gespräch mit Chefdramaturgin Larissa Wieczorek im Foyer mehr als neugierig auf den absoluten Favoriten des gesamten Ensembles machte. „Innocence“, die Oper der im vergangenen Jahr verstorbenen finnischen Komponistin Kaija Saariahos, die lange Zeit in Paris lebte und arbeitete, ist ein Paradebeispiel für die Möglichkeiten der Kunst. „Für die Rechte an dieser deutschen Erstaufführung werden wir beneidet“, unterstrich Wieczorek stolz lächelnd. Ab dem 28. September können die MiR-Besucher diesen „Psychothriller“ nach dem Amoklauf an einer Schule in Helsinki erleben.
„Dazu gehört ein internationaler Rahmen, denn es geht zunächst allein um vier Nationen und Sprachen, dann bis zu sieben verschiedene Sprachen“, beschrieb sie die sprachliche Vielfalt des Stücks. Das Gelsenkirchener Publikum scheint mehr als neugierig, denn Wieczoreks Frage, ob sie das Gespräch mit Hammarberg und Dirigent Valtteri Rauhalami auch auf Englisch führen könne, beantwortete es mit beifälligem Applaus.
Hammarberg ist keine Opernsängerin, sie kommt aus der finnischen Volksmusik-Sparte und wird spezielle Techniken aus Karelien zu Gehör bringen, deren melodiöse Elemente und Klangfarbe sich deutlich von Operngesang unterscheiden sollen.
Selbstverständlich international hatte es auch Giuseppe Spota, Leiter der MiR Dance Company, bei „Tanz mit“ auf der Bühne angehen lassen. Seiner deutsch-englischen Einladung folgten tatsächlich unerwartet viele Besucher und probten unter seiner Anleitung und Unterstützung von Tänzer Urvil Shah. Spota winkte trotzdem ausgelassen und appellierte: „Mehr, mehr“. Weil die Anweisungen gleich so schwungvoll und temperamentvoll („More Volume“, „Bam, bam, bam!“) umgesetzt wurden, bot er allen direkt „contracts“, also Verträge für das Ensemble an.
Mit sichtlicher Schadenfreude bat Generalintendant Michael Schulz fünf Mitglieder aus der Gesangssparte auf die Bühne und schickte vorweg „Sie haben sich alle nicht freiwillig gemeldet“. Aber dafür meisterten sie die schwierige Aufgabe bravourös, völlig unbekannte Gebrauchsanweisungen oder Beipackzettel zu bekannten Opern- oder Musicalmelodien wie der „Hallenarie“ des Sarastro aus Mozarts „Zauberflöte“ oder der „Habanera“ aus George Bizets „Carmen“ vorzutragen. Dabei ernst zu bleiben, wenn der Gesang auf einmal Mottenkugeln, Alpenzirbenöl oder einer Tinktur gegen Schuppen gilt, war wohl die größte Leistung. Die Grenzen zwischen E- und U-Musik verschwanden endgültig bei „dieser Idee von einigen Kindsköpfen wie mir“, so Schulz.
Ein beeindruckendes Zusammenspiel von Licht und Musik demonstrierten die Techniker des MiR beim „Bühnenzauber“. Die „Bohemian Rhapsody“ von Queen erklang, während auf der Bühne Scheinwerfer tanzten, ganze Galerien aus Leuchtröhren wie zu einem Ballett bewegt wurden, Flammen stoben und der Boden in seinen Einzelteilen gehoben wurde.
„Renner“ beim Theaterfest waren schon traditionell der Kostümverkauf und die Kinderwelten in der Garderobenhalle mit Schmink- und Bastelangeboten rund um die Stücke, die in der Saison warten. Wie „Der kleine Horrorladen“ rund um die fleischfressende Pflanze. Nicht umsonst lautete der Untertitel „Auf Tuchfühlung mit der Kunst“.
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